Alles Leben ist Begegnung

(von Wochenblatt)

Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott


Wie vielen Menschen sind Sie heute schon begegnet? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, zumindest wahrscheinlich nicht auf die Schnelle.

Wenn ich jetzt – nach 16 Jahren – auf meine Arbeit hier an dieser Seelsorgestelle Teneriffa zurückschaue, dann fällt es mir auch nicht leicht zu sagen: Wie vielen Menschen bin ich hier begegnet? Es waren viele, sehr viele – und in aller Regel waren es schöne und erfüllende Begegnungen, das kann ich wenigstens von meiner Seite aus sagen.

Als wir uns als Familie vor der Jahrtausendwende auf dieses Unterfangen „Ausland“ und „Touristenseelsorge“ eingelassen haben, da wussten wir nicht wirklich, was schlussendlich alles auf uns zukommen würde. Sicherlich: Es war mir bewusst, was als Gemeindeleiter und Seelsorger von mir seitens des Katholischen Auslandssekretariates der Deutschen Bischofskonferenz, meines Dienstgebers, erwartet wird. Was es aber schlussendlich heißt „Touristenseelsorger“ zu sein und Seelsorge an und mit Menschen zu bewerkstelligen, die man nur kurzzeitig im Jahr oder sogar nur hin und wieder in vielen Jahren zu Gesicht bekommt, das war mir so nicht geläufig. Aber ich habe mich darauf eingelassen, und meine Familie hat mich darin unterstützt und bestärkt. Als dann nach geraumer Zeit auch noch meine Frau hier eine Teilanstellung erhielt, konnten wir fortan als „Team-Player“ die Seelsorge und Gemeindearbeit gestalten.

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, so hat es der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber einmal ausgedrückt und auf den Punkt gebracht. Auch für uns war das immer eine Maxime für die Arbeit hier auf der Insel mit so vielen Menschen, die auf der Suche nach Glauben und Glaubensinhalten, menschlichem Zuspruch oder einfühlsamer Nähe, heimatlicher Sprache und Kultur, hilfreichem Beistand oder unschlüssiger Neuausrichtung und … und… und…waren. Es gab tiefgehende Begegnungen bei den Gottesdiensten in San Telmo – egal, zu welchem Anlass dieser nun gefeiert wurde, und es gab wunderschöne Begegnungen im Haus Michael bei den Angeboten und Veranstaltungen dort. Wir haben gespürt, dass wir mehr und mehr in diese Aufgabe als unsere Berufung hineinwachsen, und wir sind dankbar für die vielfältige Hilfe, die wir von so vielen Seiten erfahren haben. Dank gebührt da vor allem den Gemeindemitgliedern, die sich als solche fühlen und die diese Gemeinde mit Leben füllen. Da ist mein Wunsch ganz stark, dass auch mein Nachfolger hier – Pfr. Hansjörg Rasch – auf diese Menschen bauen und mit ihnen „Kirche vor Ort“ gestalten kann. Ein herzlicher Dank gebührt den Evangelischen Schwesterngemeinden für die gelebte Ökumene und das Miteinander für die Menschen hier. Genauso ergeht der Dank an die Konsulate deutscher Sprache, sowie an die Medien, die uns immer offen begegneten.

Als sich vor zwei Jahren der 20. Jahrestag meiner Diakonenweihe jährte, da baten mich meine Kurskollegen um ein kurzes Wort und ein Symbol, welches meine Arbeit am besten charakterisieren würde. Ich habe ihnen damals Folgendes geschrieben: Mein Symbol ist schwarzer Sand, wie es ihn nur hier auf Teneriffa gibt. Die Menschen erfreuen sich daran, es ist für sie das „Urlaubsfeeling“ schlechthin. Es bedeutet für sie Erholung und Abschalten von all dem, was sie sonst das Jahr über belastet, in Beschlag nimmt, Sorgenfalten auf die Stirn treibt und…und…und… Einfach Mensch-Sein; die Seele baumeln lassen; erfahren dürfen, dass Gott zu einem steht, egal, was das Leben gerade mit einem macht; Auftanken an Körper und Seele – den Menschen genau das zu vermitteln, ihnen diesbezüglich Angebote machen und Räume zu schaffen, wo das möglich ist, das ist seit Jahren meine tägliche Arbeit in Form von Gesprächen, von Veranstaltungen, Gottesdiensten, Zeitungsartikeln, Rundfunksendungen usw.

Der Sand ist für mich aber auch ein Symbol für die Wüste – für Zeiten der Entbehrung; für die Durststrecken im Leben, die jede und jeder von uns durchstehen muss oder die wir auch als Ehepaar und als Familie zu bewältigen hatten. Ich sehe diese Wüste auch auf meine Kirche hin, für die ich nun schon so lange arbeite; die mir Heimat ist, aber an der ich auch oft ganz gewaltig leide. Vor allem dann, wenn sich diese Kirche gegenüber den Menschen von ihrer unbarmherzigen Seite zeigt – Menschen, die als geschiedene Wiederverheiratete vom Mahl des Lebens und der Liebe ausgeschlossen sein sollen (wie ist das möglich, wenn es sich doch um das Mahl der Liebe handelt? Von der Liebe Gottes ist doch kein Mensch ausgeschlossen!!!). Oder ich denke an Menschen, die für die Liebe zu einem Menschen ihren kirchlichen Beruf aufgeben müssen und sich dann in dieser Kirche nicht mehr heimisch fühlen dürfen und wohl auch nicht können. Ich denke an all die Paare, die sich wegen ihrer Gleichgeschlechtlichkeit in unserer Kirche außen vor fühlen, und ich denke an all die vielen Frauen, die das Leben unserer Kirche in so vielen Bereichen - gerade der Diakonie und der Caritas – vorbildlich gestalten und prägen und doch von allen kirchlichen Ämtern ausgeschlossen sind. Ja, an dieser unbarmherzigen und harten Kirche leide ich oft, und es ist für mich persönlich eine Wüstenstrecke, die ich da mit ihr erfahre und erlebe.

Aber wie heißt ein Buchtitel von Herbert Haag, dem unvergessenen und unbeugsamen Alttestamentler aus Tübingen: „Die Wüste beginnt zu blühen“. Darin beschreibt er, dass die Botschaft von der Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth alle gesellschaftlichen und kirchlichen Wüsten zum Blühen bringen kann, weil wir zu einer immensen Freiheit als Kinder Gottes berufen sind. Diese Freiheit in meinem kleinen Umfeld, in meiner Gemeinde zu leben und die Menschen spüren zu lassen; diese Freiheit wach zu halten und sie immer wieder in Erinnerung zu rufen, das empfinde ich auch heute als meinen diakonischen Auftrag schlechthin, damit die Menschen und ich selbst immer wieder spüren dürfen, was „Leben in Fülle“ meint und heißt. Ob nun hier auf Teneriffa oder anderswo.

Dem möchte ich jetzt nichts mehr hinzufügen, sondern Ihnen und mir für unsere je persönliche Zukunft den Segen und das gute Weggeleit Gottes wünschen. 

Herzlichst letztmals Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und Residentenseelsorger


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