Betriebsschließung in Spanien – wenn der E.R.E. droht

(von Wochenblatt)

Ein Artikel von Dr. Armin Reichmann


Die Wirtschaftskrise in Spanien, deren (hoffentlich) bevorstehendes Ende immer wieder vorhergesagt wird, hat vielen, vor allem kleineren und mittleren Unternehmen die Existenzgrundlage genommen, sodass oft kein anderer Ausweg als die Insolvenz blieb.

Dies gilt für rein spanische Unternehmen, aber ebenso für die vielen Niederlassungen deutscher Firmen. Als Handlungsalternative und insbesondere zur Vermeidung eines Reputationsschadens kommt nur eine kontrollierte Betriebsschließung in Betracht, die zwar möglicherweise einen einmaligen ggf.  deutlichen finanziellen Zuschuss des Mutterhauses erfordert, aber immerhin die sich ständig weiter anhäufenden  Verluste beendet.

Der spanische Gesetzgeber hat hierzu im Arbeitsgesetz (Ley del Estatuto de los Trabajadores; E.T. (durch Art. 9 des Ley 1/2014 „... zum Schutz von Teilzeitangestellten und anderen dringenden Maßnahmen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich“ (para la protección de los trabajadores a tiempo parcial y otras medidas urgentes en el orden económico y social) Änderungen  in Art. 51 und 52 E.T., eingeführt, die ein Verfahren zur Kündigung sämtlicher Arbeitnehmer eines Unternehmens  vorsehen. Diese „Massenkündigung” (despido colectivo) , meistens E.R.E. (Expediente de Regulación de Empleo) genannt, ist an enge Voraussetzungen geknüpft, erlaubt aber eine Reduzierung der an die Arbeitnehmer zu zahlenden Abfindung, die traditionell in Spanien ohnehin deutlich über den in Deutschland gezahlten Abfindungen liegt.

Nachstehend soll das einzuhaltende Verfahren kurz dargestellt werden:

I. VORAUSSETZUNGEN

Gemäß Art. 51 muss die Massenkündigung aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder Produktionsgründen erfolgen und muss mindestens 10 Arbeitnehmer bei Unternehmen von weniger als 100 Arbeitnehmern, 10% der Arbeitnehmer in Unternehmen, die zwischen 100 und 300 Angestellte, oder aber 30 Angestellte  in Unternehmen, die  mehr als 300 Arbeitnehmer haben,  umfassen.

„Wirtschaftliche Gründe“ liegen dann vor, wenn die wirtschaftliche Prognose des Unternehmens negativ ist, wie etwa bei laufenden oder vorhersehbaren Verlusten oder der ständigen Verringerung der Einnahmen oder Umsätze. Der Begriff „ständig” wird beispielhaft dadurch definiert, wenn in drei aufeinanderfolgenden Quartalen die Einnahmen oder Umsätze in jedem Quartal geringer waren als im entsprechenden Quartal des vorangehenden Jahres.

„Technische Gründe“ liegen dann vor, wenn es unter anderem nachteilige Entwicklungen im Bereich der Produktionsmittel gibt, „organisatorische Gründe“, wenn es negative Auswirkungen in den Arbeitsmethoden oder in der Art und Weise der Organisation der Produktion gibt,  „Produktionsgründe“ liegen dann vor, wenn die Nachfrage nach Produkten oder Dienstleistungen, die das Unternehmen im Markt anbietet, zurückgeht.

Eine Massenkündigung liegt auch dann vor, wenn sämtliche Arbeitsverträge des Unternehmens beendet werden sollen, es sich dabei um mehr als fünf Arbeitnehmer handelt und der Anlass für die Kündigung in der vollständigen Aufgabe der unternehmerischen Tätigkeit liegt.

II. VERFAHREN

Dem Ausspruch der Kündigungen muss zwingend  ein Anhörungsverfahren vorgeschaltet werden, an dem sowohl Arbeitnehmervertreter wie auch Arbeigebervertreter teilnehmen.

1. Das Unternehmen muss die Arbeitnehmer und / oder deren Vertreter vorab schriftlich darüber informieren, dass eine  Massenkündigung beabsichtigt ist. Damit beginnt eine  Frist von sieben Tagen,  in der die Arbeitnehmer ihre Vertretung in diesem Anhörungs-Gremium organisieren müssen. Dies kann durch die zuständige  Gewerkschaft erfolgen, sollte diese aber in dem Unternehmen nicht vertreten sein, können die Arbeitnehmer selbst ihre Vertreter wählen, wobei es sich um maximal drei Mitglieder handeln darf, die gleichzeitig Angestellte des Unternehmens sein müssen. Die hier genannte Frist von 7 Tagen endet selbst dann,  wenn es den Arbeitnehmern nicht gelungen sein sollte, ihre Vertreter zu bestimmen.

2. Nach Ablauf der Frist  kann das Unternehmen formal den Arbeitnehmervertretern und der Arbeitsbehörde den Beginn der Anhörung mitteilen. Die Mitteilung über die Eröffnung des Anhörungsverfahrens erfolgt durch ein Schreiben des Unternehmens an die Arbeitnehmervertreter mit Kopie an die Arbeitsbehörde. In diesem Schreiben ist Folgendes mitzuteilen:

• Erfüllung der Voraussetzungen der Massenkündigung gemäß Art. 51;

• Anzahl und Berufszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer;

• Anzahl und Berufszugehörigkeit der in den letzten zwölf Monaten beschäftigten Arbeitnehmer;

• Zeitraum zur Durchführung der Kündigungen;

• bei den Kündigungen beachtete Auswahlprinzipien;

• Kopie der Mitteilung an die Arbeitnehmer im Hinblick auf die Einleitung des Verfahrens auf Massenkündigung;

• Bekanntgabe der Namen  der Arbeitnehmer, die in der Anhörungskommission die Arbeitnehmerschaft vertreten bzw. Mitteilung, dass diese Vertretung nicht erfolgt ist.

Gemeinsam mit dieser Mitteilung muss eine Begründung geliefert werden, mit der Ausführungen zu den Gründen der Massenkündigung gemacht werden, ebenso müssen ggf. Buchhaltungsunterlagen, Steuererklärungen und technische Stellungnahmen, die die Voraussetzungen für die Massenkündigung nachweisen, beigefügt werden.

Die Arbeitsbehörde wird die Unterlagen ggf. an weitere zuständige Behörden weiterleiten und um Stellungnahme bitten.

3. In dem  Anhörungsverfahren  soll geprüft werden, ob es Möglichkeiten gibt,  die Kündigungen zu vermeiden oder zu reduzieren bzw. sollen Begleitmaßnahmen geprüft werden, um die Folgen der Kündigungen abzufedern wie etwa Fortbildung oder Arbeits(weiter)vermittlung. Die Dauer des Verfahrens beläuft sich auf höchstens  30 Kalendertage, bzw 15 Tage, falls das Unternehmen weniger als 50 Angestellte hat.

Das Anhörungsverfahren hat das grundsätzliche Ziel,  eine einverständliche Regelung zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen zu finden. Die Arbeitsbehörde kann jederzeit Hinweise oder Empfehlungen geben, die allerdings ohne Einfluss auf Ablauf und Dauer des Verfahrens sind.

4. Sollte es zu keiner Einigung kommen, kann das Unternehmen den Arbeitnehmervertretern und der Arbeitsbehörde die endgültige Entscheidung über den Ausspruch der Massenkündigung und deren Bedingungen mitteilen. Dies muss unbedingt in einer Frist von 15 Tagen seit dem letzten Treffen im Rahmen der Anhörung erfolgen,  da ansonsten das Verfahren über Massenkündigung beendet ist. Gleichzeitig kann das Unternehmen nun auch formal die Kündigung gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern aussprechen.

5. Wichtig ist insoweit die Beachtung des Art. 53, wonach die Kündigung schriftlich unter Mitteilung des Grundes ausgesprochen werden und vor allem gleichzeitig die Abfindung in Höhe von 20 Tagen pro Arbeitsjahr ausgehändigt werden muss. Das Arbeitsverhältnis wird in diesen Fällen mit einer Frist von 15 Tagen ab dem Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung beendet. In diesem Zeitraum hat der Arbeitnehmer Anspruch auf 6 Stunden wöchentlich, um einen neuen Arbeitsplatz zu suchen.

Werden parallel dazu alle Außenstände eingetrieben, die Verbindlichkeiten ausgeglichen, Mietverträge und sonstige Dauerschuldverhältnisse aufgelöst, kann das Unternehmen auf diese Weise quasi in einen „Tiefschlaf“ versetzt werden, der kaum mehr Kosten verursacht, aber die Möglichkeit eröffnet, den Betrieb und die Geschäftstätigkeit wieder  aufzunehmen, sobald  sich der erhoffte Konjunkturfrühling abzeichnet.

Dr. Armin Reichmann

Rechtsanwalt / Aboga1do

Frankfurt am Main /

Palma de Mallorca

www.dr-reichmann.com

reichmann@dr-reichmann.com

Tel. 971 91 50 40


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